Auf den Spuren der Josefine Mutzenbacher

DDr. Anna Ehrlich, promovierte Juristin und Historikerin führt uns in der Neuauflage „Auf den Spuren der Josefine Mutzenbacher – eine Sittengeschichte“ wieder quer durch die Geschichte Wiens und der Geschichte der „Hübschlerinnen, der „süßen Wäschermädel“ und der „kleinen Komtesserl“.

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Anna Ehrlich‘s Streifzug durch die Geschichte beginnt bei den Jäger- und Sammlervölkern der Steinzeit, bei denen die fiktive Gestalt der Josefine Mutzenbacher noch nicht vorkam. Auch bei den Kelten war die Jungfräulichkeit eher ein Makel als eine Tugend.

Als die Römer an die Donau kamen, stand Josefine hoch in Kurs. Sie musste sich registrieren lassen, um ihrem Beruf nachgehen zu können. Um straflos Ehebruch treiben zu können, ließ sich so manche römische Ehefrau als Dirne registrieren. Für die Frauenlosen gab es Canabae und Lunpanare, wo Sklaven als Beischläferinnen und Lustknaben zu mieten waren. Verletzte oder tötete jemand diese „Ware“, musste der Täter an den Besitzer Schadenersatz zahlen.

Als die Römer sich aus dem Raum Wien zurückzogen und verschiedene Stämme in abwechselnder Reihenfolge die Macht übernahmen, standen Mord, Totschlag, Glücksritter und lockere Frauenzimmer auf der Tagesordnung.

Lange wurde diskutiert, ob Frauen überhaupt Menschen wären. Nur reiche Damen waren von dieser Diskussion ausgenommen. Im frühen Mittelalter waren Kreuzzüge groß in Mode. Krieger und Kriegerinnen und unzählige Händler, Köchinnen, Wäscherinnen und Prostituierte zogen ins Heilige Land.

Als die Kreuzzügler wieder nach Hause kamen, brachten sie einen neuen Trend mit. Badstuben sprossen in der ganzen Stadt aus dem Boden. Bader vermittelten gerne Gesellschaft, das Beste aus Küche und Keller wurde aufgetischt, Spielleute machten Musik und Alkoven dienten für viele Zwecke.

Das Mittelalter war die Zeit der engen persönlichen Bindungen. Wer diese nicht besaß, war vogelfrei und konnte jederzeit angeklagt oder getötet werden. Deshalb stellten die Fürsten fremde Kaufleute, Juden und Dirnen unter ihren Schutz. Die Hurerei zählte zu den verfemten Berufen und war dem Henker unterstellt. Bald kamen die Herzöge darauf, dass mit den sogenannten „Pepis“ ein Geschäft zu machen sei. Sie wurden in sogenannte Frauenhäuser verfrachtet und vom Frauenwirt oder der Frauenmeisterin überwacht. Alljährlich zu St. Johannes wurden die „freyen Frauen“ von der Stadt bewirtet und zum Tanz mit den Handwerkburschen eingeladen. Die Handwerksburschen sollten sich einmal im Jahr so richtig austoben können.

Die Heirat mit einer „Mutzenbacherin“ wurde unter Papst Innozenz III zur guten Tat erklärt und um Dirnen zu einem ehrbaren Lebenswandel und zur Ehe zu verhelfen, wurden Büßerinnenhäuser gegründet. Hier konnten sich „freie“ Frauen „vom sündigen Unleben zur Buße und zu Gott“ zuwenden.

Im 15. Jahrhundert erzählt Piccolomini über die Wiener: „Das Volk ist dem Bauch ergeben, gefräßig, und gibt an den Sonntagen den Verdienst der ganzen Woche aus. Zerlumpt und derb ist der Pöbel, sehr groß die Zahl der Prostituierten.“ Die einen wurden für Prostitution bezahlt, die „feinen“ Damen der Gesellschaft standen um nichts nach, nur wurden sie anders „entlohnt“.

Um 1400 kam die Pest über Wien und die „Hübschlerinnen hatten nur mehr wenige Kunden und viele wurden, aus der Not heraus, wieder fromm.

Als Matthias Corvinus mit seinem Heer 1485 in Wien einzog, waren die weiblichen Reize der „Hübschlerinnen“ wieder gefragt.

Ihren letzten großen Auftritt hatten die „Hübschlerinnen“ bei der Hochzeit Kaiser Maximilians, der stellvertretend für seinen Enkel, die zwölfjährige Anna von Ungarn ehelichte. Ein Zeitalter ging zu Ende und es kamen schlechte Zeiten für Josefine.

Kaiser Karl V belehnte seinen jüngeren Bruder Ferdinand mit den österreichischen Ländern und schon bald verging den Wienern das Lachen. Ferdinand, in Spanien erzogen, war an „gute Sitten“ gewöhnt. Als dann noch die Syphilis die Wiener heimsuchte, waren schnell Schuldige gefunden: die Bademädchen. Die Türken standen vor Wien und die Pest zog durchs Land. Wein, Weib und Gesang wurden verdammt und der ideale Nährboden für die Doppelmoral gelegt. So mancher hielt sich an den Leitspruch: „Will die Frau nicht, so komm‘ die Magd!“ Kein gutes Geschäft für Josefine. Die einfachen Bürger mussten karg leben und durften sich nicht schmücken, der Adel protzte mit Gold und Schmuck. Ferdinand führte eine Sittenpolizei und Keuschheitskommission ein, die die Wiener bald austricksten.

Erst unter Maximilian II wurden die Sitten wieder lockerer und die „leichtfertigen Weiber“ verdienten wieder in tolerierten „Unzuchtnestern“.

In der Zeit des Dreißigjährigen Krieges war das Volk total verarmt. Die Obrigkeit schritt gegen Laster und Unzucht, gegen Gotteslästerer, gegen Prostituierte, gegen Ehebrecher, gegen das Fleischessen am Sonntag ein und es wurde „ohne Verschonung an Leib und Gut gestrafft.“

Leopold I und seine „Zott“ wurden bald in Wien zum Gesprächsthema. Da seine Frau meist schwanger oder im Kindbett war, suchte er anderswo sein Vergnügen. Doch die nächste Pestepidemie machte all dem Frohsinn bald ein Ende. Keine Lust und kein Wein standen auf dem Programm und als die Pestepidemie zu Ende ging, standen wieder die Türken vor Wien.

Die Herren des Hauses Habsburg bemühten sich auch schon zu dieser Zeit um „Volksnähe“. König Philipp IV. von Spanien sagt man dreihundert uneheliche Kinder nach. Viele Herren machten Karriere, da die abgelegten Maitressen verheiratet und die gezeugten Kinder ehelich gemacht wurden.

Kaiser Karl der IV. hatte verschiedenen Moralmaßstäbe. Er selbst war von jeder Moral ausgenommen. Er verbot den Wienern das „Fensterln“, seine ständige Untreue musste seine Frau in Kauf nehmen. Zu seiner Zeit waren „kottige Wald-Traschln, Venus-Böck, schändliche Nachteulen, Ziegeuner-Adl, Galanterie-Fräulein und frantzösische Frauenzimmer“ aber auf den die Stadt umgebenden Wällen unterwegs und unterhielten zahlreiche Galane.

Kaiserin Maria Theresia, schon als Kind mit der Untreue ihres Vaters konfrontiert, führte wieder die Keuchheitskommission ein. Die Sittenpolizei bespitzelte das Volk und Mädchen trauten sich bald nur mehr mit dem Rosenkranz in der Hand in die Öffentlichkeit. Die höheren Herren wurden dadurch nicht tangiert. In ausgesuchten „Läden“ konnten hübsche Mädchen nach wie vor die Wünsche der Kundschaft erfüllen. Die Zeit der Stubenmädchen brach an. Hübsch, jung, kokett – und die Sittenwächter hatten keinen Zugang in private Haushalte. So manche Grabennymphe verkleidete sich als Stubenmädchen, um der Keuschheitskommission zu entkommen. Viele Stubenmädchen wurden durch Heirat adelig, Gräfin oder sogar Fürstin. Als Maria Theresia älter wurde, war sie milder gestimmt. Sie stiftete rasch noch so viele Ehen wie sie konnte und beschloss ihr Leben.

Josef Richter verfasste 1787 sein „Taschenbuch für Grabennymphen“, in dem er die Missstände unter Josef II anprangerte. In dem Buch wird auch angemerkt, dass viele hohe Herren „die Fräuleins“ später zu ihren angetrauten Gattinnen machten. Fiaker fuhren in geschlossenen Wagen „Porzellanfuhren“. Es kam nicht auf das Ziel, sondern auf die Länge der Fahrt an. Die Praterauen waren ein beliebter Treffpunkt von Nobeldirnen und „feinen“ Damen und die Herren brauchten nur zu wählen. Die Bierhäuselmenscher vom Spittelberg hingen bunte Bänder aus den Fenstern, jede Farbe hatte ihre Bedeutung und signalisierte die Spezialität der Bandbesitzerin.

Napoleon und seine Truppen kamen ins Land und Josefine war hocherfreut. Als der Wiener Kongress tanzte, tanzte Josefine mit den höchsten Würdenträgern.

Im Biedermeier herrschte Sitte und Zucht und Josefines Gewerbe blühte hinter verschlossenen Türen. Selbst adelige Damen konnte man in diversen Etablissements käuflich erwerben.

Zu Kaiser Josephs Zeiten waren Maitressen zur „körperlichen Hygiene“ vor allem in höheren Kreisen im Einsatz und Josefines Gewerbe blühte, da Armut kein Fremdwort war. Das Kaiserhaus war nicht nur in einen Sexskandal verwickelt und vieles, aber nicht alles, konnte unter den Teppich gekehrt werden.

Dann kamen die Kriegsjahre, die Ami- und die Russenbraut, die in Wien nicht angesehen waren. Der Epilog des Buches führt in die Jetztzeit und zu einer angeblichen Umfrage durch ein Wiener Marktforschungsinstitut in den 60er Jahren. Aus der Studie ging angeblich hervor, dass jeder zweite erwachsene männliche Österreicher mindestens einmal in seinem Leben die Dienste von einer Josefine für sich in Anspruch nimmt. Heute soll es nur mehr jeder dritte Mann sein.

Dieses Buch kann mit Fug und Recht als Geschichtsbuch bezeichnet werden.

In kurzen Episoden und „Gschichterl“ wird dem Leser österreichische Geschichte vermittelt.

So manche Tratschstory ist aussagekräftiger und bleibt länger im Gedächtnis, als ein vierstündiger Vortrag über diverse Herrscher.

Anna Ehrlich zeigt mit Augenzwinkern auf, dass so manche Herrscher Moral nur von ihrem Volk forderten, sie selbst aber ohne jegliche Moral agierten. Kriege, ja sogar Länder wurden dadurch verloren, weil so mancher Mächtige nicht mit dem Gehirn dachte. Josefine griff immer wieder ins politische Geschehen ein und machte sehr oft Weltgeschichte. So manche Josefine wurde zur hochangesehenen Persönlichkeit und so manche „edle“ Dame hatte mehr Liebhaber, als so manche Josefine.

Die amüsanten Tratschgeschichten lassen die Vergangenheit auferstehen und man meint, hautnah am Geschehen teilzunehmen.

Lehrreich und amüsant, Geschichtsunterricht für Erwachsene.

AUF DEN SPUREN DER JOSEFINE MUTZENBACHER
Eine Sittengeschichte
1. Auflage (Erw. Neuauflage), 272 Seiten mit zahlr. Abb.
ISBN: 978-3-85002-778-6
Preis: 24.95 EUR

www.amalthea.at

 

Dieser Lebenslauf wurde uns vom Amalthea-Verlag zur Verfügung gestellt:
DDr. Anna Ehrlich ist promovierte Juristin und Historikerin und bietet seit über dreißig Jahren informative und unterhaltsame Führungen in Wien an (www.wienfuehrung.at). Sie widmet sich neben der Religionsgeschichte vor allem den Randthemen der Geschichte, so wie der Sitten-, Medizin- und Rechtsgeschichte.

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