„…. man lebt von Tag zu Tag dahin und weiß nicht, warum“ – Die Arbeitslosen von Marienthal – Sonderausstellung im Karl-Marx-Hof

Das einstige Fabriksdorf Marienthal liegt im Steinfeld südlich von Wien. Das Wachstum des Ortes war gleichzusetzen mit dem Wachstum der Textilfabrik. Als die Wirtschaftskrise einsetzte, musste der Betrieb immer mehr Teile stilllegen. Im Jahre 1929 konnten nur mehr Teile des Betriebs aufrecht erhalten werden und im Februar 1930 wurde auch die Weberei stillgelegt.

1300 Arbeiter und Arbeiterinnen standen, von einer Minute auf die andere, vor dem Nichts. Mehr als zwei Drittel der ansässigen Bevölkerung hatte ihre Lebensgrundlage verloren. Menschen, die bis jetzt ein strukturiertes Leben führten, hatten plötzlich Zeit, die nicht sinnvoll gefüllt werden konnte. Apathie machte sich breit, Menschen zerbrachen, Depressionen und Hoffnungslosigkeit waren an der Tagesordnung.

„Viele Stunden stehen die Männer auf der Straße herum, einzeln oder in kleinen Gruppen; sie lehnen an der Hauswand, am Brückengeländer. Wenn ein Wagen durch den Ort fährt, drehen sie den Kopf ein wenig; mancher raucht eine Pfeife. Langsame Gespräche werden geführt, für die man unbegrenzt Zeit hat. Nichts muss mehr schnell geschehen, die Menschen haben verlernt, sich zu beeilen.“
Die Arbeitslosen von Marienthal. Ein soziographischer Versuch, 1933

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Bis zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts arbeiteten die meisten deutschen Soziologen mit historischem Material, der tatsächliche Ist-Zustand floss aber fast nie in Studien ein.

Auf Anregung von Otto Bauer machten sich 15 junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf, das Phänomen Arbeitslosigkeit, mit all seinen Auswirkungen, zu ergründen.

Die erstmals 1933 veröffentlichte Arbeit „Die Arbeitslosen von Marienthal“ ist die erste Studie, bei der eine Forschungsgruppe vor Ort Interviews führte, komplexe Erlebnisweisen empirisch erfasste, in Tagebuchnotizen und Briefe Einsicht nahm, statistische Daten erhob, auswertete und analysierte.

Daraus entstand eine Studie, die nicht nur das ganze Ausmaß konzentrierter Arbeitslosigkeit, ihre wirtschaftlichen, sozialen und psychischen Folgen aufzeigt sondern auch ein Stück österreichischer Alltagsgeschichtsschreibung enthält.

Die heute als Pionierarbeit in der Entwicklung der empirischen Sozialforschung geltende Marienthal-Studie enthält in Schlussfolgerungen auch jene der „müden Gemeinschaft“ und Maria Jahoda, eine der Wissenschaftlerinnen stellte 1981 fest: „Arbeitslosigkeit führt zur Resignation, nicht zur Revolution.“

Sonderausstellung
„…… man lebt von Tag zu Tag dahin und weiß nicht, warum“
Die Arbeitslosen von Marienthal
Vom 12.9.2013 bis 1.5.2014
Waschsalon Nr. 2, Karl-Marx-Hof, Halteraugasse 7, 1190 Wien
Öffnungszeiten: Donnerstag 13 bis 18 Uhr, Sonntag 12 bis 16 Uhr
Gruppen nach Voranmeldung
Tel. +43 (0) 664 885 40 888;
E-Mail: info@dasrotewien-waschsalon.at
www.dasrotewien-waschsalon.at

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