Julius Tandler oder: Der Traum vom „neuen Menschen“

„Denn je mehr wir die Jugend befürsorgen, um so weniger werden wir es im Alter tun müssen, um so gesünder, um so lebenstüchtiger, um so beanspruchbarer für den Kampf um das Dasein wird diese Jugend sein. Was wir auf Jugendhorte verwenden, ersparen wir an Gefängnissen. Was wir in der Schwangeren- und in der Säuglingsfürsorge ausgeben, ersparen wir an Irrenanstalten.“ (Julius Tandler)

Dem Arzt, Wissenschafter und sozial eingestellten Politiker Julius Tandler widmet Das Rote Wien im Waschsalon Karl-Marx-Hof eine Sonderausstellung anlässlich des 80. Todestages.

Tandler, aus einfachen Verhältnissen stammend, vertrat als Politiker immer die Meinung, dass soziale Hilfe ein Rechtsanspruch des einzelnen Individuums sei und von keiner wie auch immer gearteten Gnade abhängig gemacht werden dürfte.

Der Politiker Tandler, der sich auch als Wissenschafter einen Namen erarbeiten konnte, war maßgeblich mit der Ausarbeitung eines bundesweiten Krankenanstalten-Gesetzes befasst und als Stadtrat für das Wohlfahrts- und Gesundheitswesen für die Neuorganisation des Wiener Fürsorgewesens verantwortlich.

Aufgrund seiner Ansicht der „Geschlossenheit der Fürsorge“ errichtete die Gemeinde Wien ein dichtes Netz von Fürsorgestellen, das ab 1932 durch ambulante Dienste ergänzt wurde. Die umfassenden Einrichtungen sollten sämtliche Lebensbereiche der Menschen abdecken und auch Lebensbereiche zu erfassen, in denen sich die Leute wohlfühlen konnten.

Eheberatung, „Pflege und Wartung des Kindes“, gegen den „Gebärzwang für das Elend“ – damals keine Schlagworte, sondern Ideen, die Schritt für Schritt umgesetzt wurden. Tandlers Hauptaugenmerk richtete sich auf die Kinder- und Jugendfürsorge, die er als Fundament für eine Erziehung zum „besseren Menschen“ ansah.

Die Bekämpfung von Volksseuchen wie Tuberkulose, Alkoholismus und Krebs wurden von Tandler vorangetrieben und zahlreiche Initiativen wurden dank seines Einsatzes von der Gemeinde Wien umgesetzt.

Auch Tandler konnte sich dem ideologischen Gedankengut der Eugenik nicht entziehen. Obwohl er in einem Aufsatz „das Recht des Einzelnen auf Leben und den Aspekt der freiwilligen Entscheidung“ betont, vertritt auch er eugenische Konzepte als Teil einer Vision von einer neuen Gesellschaft.

Der manchmal unbequeme und sehr selbstbewusste Tandler kehrt wegen antisemitscher Vorfälle 1933 Wien den Rücken. Nach seiner Rückkehr wird er 1934 verhaftet und erst nach zahlreichen Interventionen und nach Abgabe einer Loyalitäts-Erklärung freigelassen. Anfang Februar 1936 erreicht Tandler eine Einladung nach Moskau, wo er im August 1936 an „Herzschwäche“ stirbt.

Sonderausstellung
Julius Tandler oder:
Der Traum vom „neuen Menschen“
Vom 22. September bis 1. Mai 2017
Das Rote Wien
im Waschsalon Karl-Marx-Hof
Waschsalon Nr. 2
Karl-Marx-Hof, Halteraugasse 7, 1190 Wien

www.dasrotewien-waschsalon.at