Mit dem Rad entlang des Wiener Neustädter Kanals und weiter bis ins Höllental

Eine Radtour entlang des Wiener Neustädter Kanals ist für mich mit schönen und traurigen Kindheitserinnerungen verknüpft.

Für uns Kinder waren der Wiener Neustädter Kanal und die Fischa absolutes Sperrgebiet. Besonders nachdem ein Cousin von mir  zufällig Augenzeuge wurde, wie ein Kind beim Spielen in den Kanal rutschte und darin versank. Mein Cousin rief seiner Frau noch schnell zu, sie solle Hilfe holen, dann tauchte der verzweifelte Mann immer wieder nach dem Kind, konnte es aber in dem schlammigen, tiefdunklen Wasser nicht mehr sichten. Telefon war damals Luxus und die Polizei musste persönlich geholt werden. Bis weitere Hilfe eintraf, war von dem Kind keine Spur mehr. Mein Cousin, ein herzensguter Mensch, hatte bis zu seinem Lebensende Alpträume und konnte es nie verwinden, dass er das Kind nicht retten konnte.
Mit dem Wiener Neustädter Kanal verbinden mich aber auch schöne Erinnerungen. Im Sommer wurde hin und wieder ein Ausflug an den Kanal geplant. Am Vortag wurden Eier gekocht – für jedes Kind ein halbes Ei. Dann wurde Liptauer oder Frühlingskäse gerührt, Bauernbrotscheiben damit bestrichen, Radieschen oder saftige Fleischparadeiser geerntet und Kuchen für den Ausflug gebacken. Kräuter- oder Früchtetee musste gekocht werden, Flaschen wurden damit gefüllt, ein Ball kam in das Netz, Federballsets und drei große Decken wurden eingepackt. Jedes Kind durfte sich ein Buch mitnehmen und nach dem Essen darin lesen. Am nächsten Tag sammelten meine Tante und meine Großmutter uns Gschrappen ein und die Karawane zog los. Jeder bekam eine Tasche zum Tragen und meine Großmutter hatte zusätzlich ihren zusammenklappbaren Holzschemel mit, da das Sitzen am Boden für sie schon zu mühselig war. Beladen mit Sack und Pack erschien uns Kindern der Weg endlos, besonders da wir dem Kanal nicht zu nahe kommen durften und der doch mit seinem schilfbewachsenen Ufer und den wunderschönen Schwertlilien so lockte.
Ziel war die Heide zwischen zwei Kanalbrücken. Endlich erreicht, wurden die Decken ausgebreitet, alles fein säuberlich auf eine Decke geschlichtet und wir Kinder hatten eine riesengroße Fläche für uns, gut bewacht von den Argusaugen meiner Tante und meiner Großmutter. Allein das Ausbreiten der Decken war schon Abenteuer. Kaum wurde der Boden berührt, sprangen Heuschrecken kreuz und quer und unser Gequietsche war wahrscheinlich kilometerweit zu hören.
Wenn es dann besonders heiß wurde, durften wir zum Kanal. Fest an einer Hand gepackt, durften an einer ausgetretenen Stelle die Füße in den Schlamm gegraben werden oder meine Tante tauchte uns einzeln, an beiden Händen haltend, in das dunkle Gewässer. Dann wurde nach Blutegel gesucht, diese in einem Gurkenglas verstaut, zu Hause stolz präsentiert und später von meine Vater wieder zum Kanal gebracht.
Wenn dann alle müde waren, wurde das mitgebrachte Essen aufgetischt und danach durften wir in unseren Büchern lesen. Nach dem Rasten wurde Ball oder Federball gespielt und am späten Nachmittag zog die müde Schar Richtung Heimat.

Der Wiener Neustädter Kanal wurde zwischen 1797 und 1803 zum Lastentransport errichtet, verlor aber seine Funktion und wurde zum Teil sogar trockengelegt.
Die Radroute entlang des Wiener Neustädter Kanals besteht aus einem Mix aus drei Radwegen und kann auch mit anderen Radwegen, wie z.B. dem Traisentalradweg kombiniert werden.

Wer mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist und die Strecke nicht hin und retour radeln will, steigt beim Bahnhof Hennersdorf bei Wien in den Radweg ein. Wenn man dann in Richtung Westen radelt, gelangt man nach circa 600 Metern auf den gut ausgeschilderten Thermenradweg. Fast immer eben dahin, radelt man über Biedermannsdorf nach Laxenburg, wo man auf den Wiener Neustädter Kanal trifft. Über Guntramsdorf, Gumpoldskirchen, Baden bis nach Kottingbrunn folgt man dem Thermenradweg. Ab Kottingbrunn geht es mit dem Radweg Eurovelo 9 weiter über Leobersdorf nach Wiener Neustadt. Bis zum Hauptbahnhof in Wiener Neustadt hat man dann circa 44 Kilometer erradelt und kann, wenn man will, den Rückweg mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause antreten. Wer lieber kürzer radelt, kann bereits in Kottingbrunn in die Öffis umsteigen.
Für Autofahrer bietet sich der große Parkplatz beim Friedhof in Vösendorf an. Von dort kann man Richtung Laxenburg radeln und trifft auf den Thermenradweg.
Die Strecke quert oft Straßen und ist deshalb etwas mühsam zum Fahren, bietet aber schöne Ausblicke auf die Weinberge. Unterwegs gibt es immer wieder nett gestaltete Rastplätze und vorzügliche Einkehrmöglichkeiten.
Wer mag, schaut beim Wasserschloss Kottingbrunn vorbei oder macht einen kleinen Rundgang durch die schön gestaltete Fußgängerzone zur Akademie und dem Wasserturm oder zum Dom in Wiener Neustadt.

Wer weiter radeln will, folgt ab Wiener Neustadt dem EuroVelo 9 bis Lanzenkirchen. Ab hier beginnt der Schwarzatalradweg. Quer durch das Steinfeld führt der Weg über Schwarzau am Steinfeld, Neunkirchen, Ternitz, Gloggnitz, Payerbach bis zum Beginn des Höllentals in Reichenau an der Rax und bietet schöne Ausblicke auf den Schneeberg. Rast- und Einkehrmöglichkeiten gibt es entlang der Strecke in den diversen Orten. Bei dieser Teilstrecke sind einige Steigungen zu meistern und einige Bundesstraßen müssen überquert werden. Wer diese Teilstrecke meistert, hat von Wiener Neustadt bis Bahnhof Payerbach-Reichenau circa 49 km in den Wadeln.
Wer mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, sollte nach Payerbach zurückradeln und ab hier die Bahnverbindung nach Wien wählen.
Wer noch genug Energie hat, kann an die Radtour noch eine zünftige Wanderung anhängen. Entlang des Höllentals kann man den „Wiener Wasserweg“ bis nach Kaiserbrunn erwandern und das Wasserleitungsmuseum in Kaiserbrunn besuchen.

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